von Michael Rossitsch
Business-Process-Management (BPM) gilt vielerorts immer noch als komplex und teuer. Tatsächlich aber reduziert BPM die System- und Prozesskomplexität. Mit einer fundierten Einführungsmethodik beschleunigt sich zudem der digitale Wandel, sodass sich BPM-Kosten dank höherer Effizienz meist schnell wieder refinanzieren.
Zu Recht wird immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich bei der digitalen Transformation nicht allein um eine technologische Herausforderung handelt, sondern primär um ein neues Verhältnis zu den Kunden. Weniger klar wird in der Debatte um den digitalen Wandel allerdings eine andere fundamentale Tatsache: Nämlich, dass eine konsequente Kundenorientierung nur auf der Grundlage medienbruchfreier, von Ende zu Ende durchstrukturierter Prozesse möglich ist. So sind zum Beispiel personalisierte Serviceangebote via Internet nicht realisierbar, wenn der Kundenkontakt zwar digital über ein modernes Portal oder mobil via App erfolgt, die dahinterliegenden Abwicklungsprozesse aber nicht von A bis Z optimal aufeinander abgestimmt sind.
In zu vielen Unternehmen werden trotz zeitgemäßer Digitalschnittstelle zu den Kunden nach wie vor servicerelevante Daten manuell von einem System ins andere übertragen. Von unvermeidlichen Fehlern und betriebswirtschaftlich kaum vertretbarem Aufwand einmal abgesehen: Die im Wettbewerb so wichtige Konsistenz eines einheitlichen Markenerlebnisses der Kunden über alle Kontaktkanäle hinweg bleibt unter solchen Bedingungen ein unerfüllbarer Traum. Dass demgegenüber ein hohes Maß an Prozessintegrität und Automation ein wesentliches Merkmal digital exzellenter Organisationen ist, brachte schon 2015 eine grundlegende Studie der Universität Hamburg in Kooperation mit Sopra Steria Consulting ans Licht. Insofern erweist sich Business-Process-Management gleichsam als ein Ticket auf dem Weg zur digitalen Exzellenz.
Assessment: Am Anfang steht die Selbsterkenntnis
Die Digitalisierung der Geschäftstätigkeit bedeutet im Kern eine Digitalisierung von Prozessen. Wäre es demnach nicht am einfachsten, die bestehenden und oftmals langjährig bewährten Prozesse eins zu eins digital abzubilden und so zu automatisieren? Das wäre ein verhängnisvoller Trugschluss. Denn die Struktur der Prozesse so zu belassen, wie sie waren, und sie lediglich auf ein digitales Medium zu übertragen, würde jede Chance zur Innovation verschenken. Stattdessen empfiehlt es sich, im ersten Schritt der BPM-Einführung den Status quo der gesamten Prozesslandschaft systematisch zu erfassen: Welche Genehmigungszyklen spielen eine Rolle? Welche Datenquellen und Abteilungen sind involviert? Welche Teilprozesse sind bereits automatisiert? All dies gilt es zunächst, im Sinne eines Assessments vollständig und detailliert zu dokumentieren.
Auf dieser Basis wird im zweiten Schritt dann sehr schnell deutlich, an welchen Stellen ein Medienbruch Sand ins Workflow-Getriebe streut. In der Praxis haben sich hierfür Ablaufvisualisierungen bewährt, weil damit die Flaschenhälse im bisherigen Prozessgefüge für alle Beteiligten anschaulich sichtbar werden. Nicht selten ergibt sich dabei ein sehr komplexes Bild, bei dem auf Anhieb niemand so recht weiß, wo die Prozessoptimierung am besten beginnen sollte. In solchen Fällen kann es ratsam sein, sich zunächst auf einen überschaubaren Prozessbereich für ein bestimmtes Geschäftsmodell zu beschränken.
BPM im Spannungsfeld von Mensch, Prozess und Technologie
Die Einführung von BPM gliedert sich idealerweise in die vier Phasen Assess, Align, Establish und Transform: Nach einer detaillierten Bestandsaufnahme und Dokumentation der bestehenden Prozesslandschaft werden Optimierungschancen sichtbar. Deren Umsetzung folgt in der Align-Phase anhand strategischer Vorgaben und unter Einsatz visueller Tools. Agile Vorgehensweisen sichern in diesem Schritt die Übereinstimmung der digitalisierten Prozesse und Geschäftsmodelle mit den tatsächlichen Bedürfnissen der späteren Anwender. Weiteres Optimierungspotenzial erschließt sich zumeist auch während der Implementierung in der dritten Establish-Phase. Denn in diesem Projektstadium werden oftmals Standardisierungsinitiativen angestoßen sowie siloartige Datenquellen durch einen Integrations-Layer vereinheitlicht. Die vierte und letzte Phase schließlich bringt explizit den Faktor Mensch ins Spiel – und zwar durch eine gezielte Weiterentwicklung der Unternehmenskultur und geeignete Trainingsmaßnahmen für die betroffenen Mitarbeiter.
Agiler Weg zu perfekten Prozessen
Solche kleineren Prozesspakete bieten den großen Vorteil, dass sie sich besser mit agilen Methoden optimieren lassen: Man entwirft erst einmal einen Prototypen, der weder perfekt noch komplett sein muss. Wichtig ist vielmehr, dass die späteren Prozesseigner und idealerweise auch schon die Kunden, die den Service später nutzen sollen, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt in die Prozessgestaltung einbezogen werden. Schritt für Schritt kann der ursprüngliche Prototyp dann in iterativen Schleifen immer weiter verfeinert werden – wobei das Feedback der Anwender als Input für jede nächstfolgende Iterationsschleife dient.
Business-Process-Management ist ein Ticket auf dem Weg zur digitalen Exzellenz.
Im dritten Schritt folgt die sogenannte Establish-Phase: Hierbei geht es darum, das neu gestaltete Prozesspaket für ein digital transformiertes Geschäftsmodell in der vorhandenen IT-Umgebung zu implementieren. Insbesondere werden in dieser Phase frühere Medienbrüche überbrückt – zum Beispiel, indem ein Layer zwischen der Prozessebene und den vormals desperaten Datenquellen eingezogen wird. An dieser Stelle wird deutlich, dass BPM fast immer auch Standardisierungsfragen aufwirft, deren Lösung der eingangs zitierten Studie zufolge ein Unternehmen ebenfalls ein gutes Stück weiter in Richtung digitaler Exzellenz voranbringt.
Der menschliche Faktor
Bei agiler BPM-Prozessgestaltung erhöht die Rückkopplung durch das Feedback der späteren Anwender ohne Frage die Chance auf breite Akzeptanz. Zugleich aber löst die Neustrukturierung von Abläufen im Vorfeld ihrer Digitalisierung auch organisatorische Veränderungen im Unternehmen aus – zum Beispiel, indem eingefahrene Genehmigungsprozeduren und damit auch die zugrunde liegenden Hierarchien auf den Prüfstand gestellt werden. Zudem bringt das digitale Geschäftsmodell selbst mitunter gänzlich neue, für manche Mitarbeiter ungewohnte Aufgaben mit sich. Das betrifft beispielsweise die Kundenbetreuer einer Bank oder Versicherung, die nun auch via Video-Chat ad hoc mit Kunden interagieren. Erst die Befähigung der Belegschaft zur selbstbewussten Nutzung digitaler Tools – und damit zu echter Kundenorientierung – schließt als vierte Phase ein erfolgreiches BPM-Projekt ab.
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