Das IoT wird zum KI-Datenlieferanten: Durch die Algorithmen des maschinellen Lernens entstehen so neue Produkte, Prozesse und Services.
Im Interview mit der TREND-REPORT-Redaktion sprach Prof. Dr. Dr. Schildhauer, Principal Investigator am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft, über das Veränderungspotenzial der mit dem IoT einhergehenden Datenmenge (Big Data).
Herr Prof. Schildhauer, inwieweit verändert die KI/AI
(Künstliche Intelligenz/Artificial Intelligence) datenbasierte
Geschäftsmodelle?
Es entstehen durch weiterentwickelte Algorithmen Chancen, bspw. durch
maschinelles Lernen, Systeme zu entwickeln, die basierend auf großen
Datenkontingenten helfen, Prozesse, Strukturen und Arbeitsabläufe in
Unternehmen zu optimieren und zu steuern. Mit dem Hype-Begriff
„Künstliche Intelligenz“ gehe ich in diesem Kontext noch sehr vorsichtig
um. Aber sichtbar ist, dass neben maschinellem Lernen weitere
Technologien wie Cloud Computing, IoT oder Additive Manufacturing ein
wichtiger technischer Enabler für datenbasierte Geschäftsmodelle sind.
So entwickeln sich in Deutschland in diesem Zusammenhang neue
technologiebasierte Start-ups z. B. in den Sektoren Handel, Logistik,
Gesundheit oder Mobilität.
Start-ups, aber auch etablierte Unternehmen entwickeln auf Basis großer Datensammlungen und entsprechender Algorithmen neue Geschäftsmodelle, die beispielsweise Vorhersagen auf künftige Bedarfe oder Nutzerverhalten analysieren und vorhersagen – Predictive Analytics. Insbesondere vollzieht sich der Wandel bei etablierten Unternehmen dort, wo zumeist auf der Ebene unternehmensinterner Prozessoptimierungen Potenziale aus der Analyse großer Datenmengen geschöpft werden. Dies kann im Versicherungsbereich (bspw. Vorhersage über Schadenrisiken aus Daten der Vergangenheit und aktuellen Wetter- und Verhaltensdaten) ebenso wie in Produktionsunternehmen (Predictive Maintenance) zur Anwendung kommen. Ob und wie sich aus diesen Innovationen tragfähige datenbasierte Geschäftsmodelle entwickeln, untersucht die Forschungsgruppe „Datenbasierte Geschäftsmodellinnovation“ am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft – Das deutsche Internet-Institut.
Welche Innovationen werden mit diesen neuen Technologien möglich?
Das Innovationspotenzial erstreckt sich über die gesamte
Wertschöpfungskette in Unternehmen und führt zu neuen Prozessen,
Produkten, Services und Geschäftsmodellen in vielen unterschiedlichen
Sektoren. Neben den bereits beschriebenen Beispielen aus
Dienstleistungs- und Produktionsbranchen wird die Echtzeitanalyse
riesiger Datenbestände mittels Big-Data-Analytics heute auch in der
Krebsdiagnostik genauso eingesetzt wie in der personalisierten Werbung.
Große Potenziale entstehen auch im Bildungsbereich, diesen untersucht
die Forschungsgruppe schwerpunktmäßig.
Der Einsatz von Augmented Reality führt z. B. in der Berufsbildung dazu, dass Auszubildende verstärkt praktische Fähigkeiten durch virtuelle Simulationen erlernen, was vor allem bei riskanten und teuren Arbeitsschritten ein wichtiges Innovationspozential darstellt. Neue digitale Bildungsplattformen verändern den Lehr- und Lernprozess und machen diesen erstmalig messbar. So hat z. B. eine führende Plattform für Online-Kurse im Aus- und Weiterbildungsbereich mittels maschinellen Lernens einen Algorithmus entwickelt, der Teamleiter*innen aufzeigt, welche Kompetenzen Mitarbeiter*innen fehlen und mit welchen offerierten Online-Kursen diese erworben werden können. Auch kann die Sammlung von Verlaufs-, Abbruch- und Abschlussdaten der Lernenden auf Lernplattformen dazu genutzt werden, die Lernsysteme in Echtzeit an das Verhalten der Lernenden anzupassen (Learning Analytics).
Wir gehen der Frage nach, wie durch die Veröffentlichung von Datensätzen neue Geschäftsmodelle im Mobility-Bereich oder in der Bildung entstehen können.
Inwieweit beschäftigen Sie sich in Ihrer Forschungsgruppe mit
den Themen IoT und IIot im Kontext datenbasierter
Geschäftsmodellinnovationen?
Wir betrachten IoT zwar als Schlüsseltechnologie, aber eben als eine von
vielen, die datenbasierten Geschäftsmodellinnovationen zugrunde liegt.
Neben diesen Schlüsseltechnologien stehen bei uns vor allem drei Themen
im Vordergrund, die parallel erforscht werden. Den ersten inhaltlichen
Schwerpunkt setzen wir im Bereich Open Data und gehen der Frage nach,
wie durch die Veröffentlichung von Datensätzen neue Geschäftsmodelle im
Mobility-Bereich oder in der Bildung entstehen können. Dabei fokussieren
wir besonders die Themen Datenschutz, Datenqualität und
Datensicherheit. Darüber hinaus untersuchen wir, wie digitale
Bildungsplattformen und die dort implementierten Learning Analytics zu
neuen datenbasierten Geschäftsmodellen im Bildungssektor führen können.
Zu guter Letzt wird auch die Prozessebene von Geschäftsmodellinnovationen erforscht, um mögliche Systematisierungen abzuleiten und Innovations-Tools für die Praxis zu entwickeln. Ein Anwendungsfall bezogen auf IIOT untersucht in diesem Zusammenhang folgende Fragestellung: Da durch zunehmende Machine-to-Machine(M2M)-Kommunikation die Anforderungen an Menschen, die Produktionsprozesse in IIOT-ausgerüsteten Produktionsstraßen steuern, stark anwachsen, müssen diese Menschen mit neuartigen Lernsystemen ausgestattet werden, die ihnen erlauben, situativ und individuell am Ort des (Produktions-)Geschehens die Lerneinheit abrufen zu können, die gerade benötigt wird, um bspw. Fehler, die in der neuen IIOT-gestützten Produktion auftreten, schnell beseitigen zu können. Über die Produktionsstandort-übergreifende Sammlung von Daten (Big Data) können für wiederkehrende Fragestellungen bereits im Vorfeld Lerneinheiten angelegt werden, die den Menschen vor Ort helfen.
Welchen Stellenwert nehmen das IoT und IIoT ein, wenn es um zukünftige datenbasierte Geschäftsmodelle geht?
Im Zusammenhang mit dem IoT und IloT rückt das Konzept des Ökosystems in
den Vordergrund. Hier reden wir über mit Sensoren ausgestattete
Endgeräte, die digitale Daten generieren und miteinander austauschen.
Gegenstände und Prozesse, die zuvor keine Daten generiert haben, werden
auf einmal zu Datenlieferanten. Damit ist die IoT-Technologie, wie auch
die zuvor thematisierte KI, ein weiterer technischer Enabler für
datenbasierte Geschäftsmodellinnovationen. Mit den neuen
Datenkontingenten werden die bestehenden unternehmerischen Ressourcen
angereichert und es entstehen neue Bedarfe für Analyse-Tools, die aus
Rohdaten handlungsrelevantes Wissen generieren. Vielfach bewegen wir uns
hier im Bereich der Optimierung, vor allem in B2B-Bereichen wie der
Logistik. Aber auch im privaten Bereich ist das IoT bereits angekommen,
in Form von Selftracking und Smarthome-Devices. Smartwatches und andere
Wearables sind längst in unserer Gesellschaft etabliert – eingebettet in
ein Ökosystem digitaler Dienstleistungen.
Wie können in Unternehmen durch Design Thinking innovative IoT-Ideen entstehen?
Ein Kernprinzip von Design Thinking ist immer seine Ergebnisoffenheit
und die konsequente Fokussierung auf die Verwender/Nutzer. Das
begünstigt zunächst innovative Ideen in allen Industrien, weil vor allem
der Prozess im Vordergrund steht und nicht so sehr die einzelne Branche
oder die ihr zugrunde liegende Technologie. Dies kann als Stärke und
als Schwäche auslegt werden. Für uns ist deshalb die wirklich spannende
Frage in diesem Zusammenhang, inwiefern sich die
Design-Thinking-Methodik durch die Einbindung großer Datenmengen
erweitern lässt, um die spezifischeren Anforderungen von neuen
datenbasierten Geschäftsmodellen zu erfüllen. Diesbezüglich gibt es in
Deutschland schon erste Vorreiter, die sich z. B. auf Data Thinking
spezialisieren, und auch unsere Forschungsgruppe am Weizenbaum-Institut
für die vernetzte Gesellschaft – Das Deutsche Internet-Institut
beschäftigt sich mit dieser Frage.
Inwieweit können Ausgründungen etablierter Unternehmen neue
unternehmerische Strukturen für die Entwicklung datenbasierter
Geschäftsmodelle schaffen?
Eine Ausgründung bietet neuen Ideen Platz zum Reifen. Das ist immer dann
sinnvoll, wenn innerhalb einer Organisation neue unternehmerische Ideen
generiert werden, die im derzeitigen Kerngeschäft keinen Platz finden,
es entstehen Spin-offs. Mit dieser organisatorischen und oft auch
räumlichen Trennung werden Innovationen davor bewahrt, an der gängigen
Branchenlogik und der Performance des operativen Geschäfts gemessen zu
werden – also jenen Paradigmen, die eine disruptive Innovation ja gerade
auf den Kopf zu stellen versucht. Oftmals gehen diese Initiativen auf
die Arbeit der Abteilungen für Forschung und Entwicklung in etablierten
Unternehmen zurück, die sich heute mehr denn je mit digitalen und
datenbasierten Innovationspotenzialen beschäftigen.
Was können etablierte Unternehmen von Start-ups lernen?
Sie können von ihnen lernen, dass Wandel keine Bedrohung ist, sondern
eine Chance. Start-ups sind sehr gut darin, das zu betreiben, was Joseph
Schumpeter schon vor über 70 Jahren als schöpferische Zerstörung
bezeichnete, und gezielt Lücken zu besetzen, die sich zwischen
etablierten Unternehmen und ihren bisherigen Kunden aufgetan haben. Sie
bleiben neugierig, probieren auch unkonventionelle Ideen aus und richten
den Blick eher nach außen als nach innen. Auch sind sie bereit,
Erkenntnisse aus dem Markt schnell zur Veränderung des ursprünglichen
Geschäftsmodells zu nutzen. Natürlich darf dabei nicht vergessen werden,
dass die viel zitierte Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der
Start-ups vielfach ihrer prekären Lage geschuldet ist, geprägt von einem
Mangel an unternehmerischen Ressourcen und oftmals auch an
unternehmerischer Erfahrung. Und trotzdem ist es immer wieder
bemerkenswert, wie sie sehr oft erfolgreich aus dieser Not eine Tugend
machen. //
Zur Person Prof. Dr. Dr. Thomas Schildhauer
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